Die Kategorisierung von Literatur und von Schriftstellern ist nie so wohlwollend und harmlos, wie sie aussieht. Die Methode hat sich herausgebildet, um den Staat als »natürlich« erscheinen zu lassen, und sie wird beibehalten, um ihn zu verteidigen. Dadurch, dass wir Beckett und Zola als französische Schriftsteller bezeichnen, Begag und Senghor hingegen als frankophon, schaffen wir erneut die Markierung des Französisch-Seins und verteidigen die Grenzen Frankreichs. Das Gleiche gilt für Amerika und die Kategorie »amerikanischer Schriftsteller«. Wenn wir Taiye Selasi eine amerikanische Schriftstellerin nennen, ohne eine Spezifizierung durch den praktischen Bindestrich, dann bedrohen wir die Grenzen eines imaginären Amerika. Man beachte: Wikipedia nennt den Pulitzer- Preisträger Junot Díaz »dominikanisch-amerikanisch« und Edwidge Danticat »haitisch-amerikanisch«, die blonde Debütantin Téa Obreht hingegen eine »Amerikanerin, geboren in Belgrad«. Und andererseits muss man, wenn man mich eine afrikanische Schriftstellerin nennt, erst einmal ein monolithisches Afrika erfinden und gleichzeitig mich — meine Charakterzüge, ihre Färbung – ausbremsen, damit wir nicht die Grenzen dieses imaginären Afrika überschreiten. Es wird impliziert, dass ich etwas Wichtiges mit allen anderen afrikanischen Autoren gemeinsam habe, die, zusammen mit mir, afrikanische Literatur schaffen. Die Frage ist nur: Was könnte diese Gemeinsamkeit sein?

1963 nahm ein prominenter Schriftsteller an einem akademischen Symposion teil. Es nannte sich Eine Konferenz afrikanischer Schriftsteller englischer Sprache. Später schrieb er darüber:

Eine Sache haben wir versucht, aber nicht geschafft: Wir wollten den Begriff »afrikanische Literatur« adäquat definieren. Ist es Literatur, die in Afrika entstanden ist, oder Literatur über Afrika? Kann afrikanische Literatur sich mit jedem beliebigen Sujet befassen, oder muss sie sich einem afrikanischen Thema widmen? Sollte sie sich mit dem gesamten Kontinent beschäftigen oder nur mit dem Gebiet südlich der Sahara – oder überhaupt nur mit Schwarzafrika? Die Konferenz brachte eine vorläufige Definition afrikanischer Literatur zustande, die folgendermaßen lautete: »Kreative Texte, in denen ein afrikanischer Kontext authentisch behandelt wird oder für die in Afrika gewonnene Erfahrungen ein integraler Bestandteil sind.« Man sagt uns ganz konkret, dass Joseph Conrads Heart of Darkness (Herz der Finsternis) als afrikanische Literatur gelten kann, während Graham Greenes The Heart of the Matter (Das Herz aller Dinge) nicht dazugehört, weil der Roman auch irgendwo außerhalb von Afrika spielen könnte. Ich fand sie amüsant, diese seltsame Konstruktion: dass Conrad, ein Pole, der Englisch schreibt, afrikanische Literatur schaffen konnte, was hingegen für Peter Abrahams nicht gelten würde, wenn er einen Roman über seine Erfahrungen in der Karibik schreibt. Diejenigen, die Nordafrika nicht in die Kategorie afrikanische Literatur einschließen möchten, weil es einer anderen Tradition angehört, wollen damit doch sicherlich nicht andeuten, dass Schwarzafrika ein homogenes Gebilde sei. Was hat Shaaban Robert gemeinsam mit Christopher Okigbo oder mit Awoonor-Williams? Oder Mongo Beti aus Kamerun und Paris mit Nzekwu aus Nigeria? Was hat die Champagner trinkende Oberschicht der kreolischen Gesellschaft, die Easmon aus Sierra Leone beschreibt, gemeinsam mit der Landbevölkerung und den Fischern in J. P. Clarks Theaterstücken?

Der sogenannte Vater der afrikanischen Literatur war erstaunlich skeptisch gegenüber seinen Nachkommen. Der große Chinua Achebe, der leider nicht mehr lebt, kommt 1965 zu dem Schluss: »Jeder Versuch, afrikanische Literatur zu definieren, in Begriffen, welche die Komplexität der afrikanischen Welt nicht sehen, ist zum Scheitern verurteilt.« Fünfzig Jahre später würde ich die Behauptung aufstellen, dass man afrikanische Literatur nur als solche definieren kann, wenn man ebendiese Komplexität übersieht.

Und da liegt das Problem.

Um an »afrikanische Literatur« zu glauben – das heißt, um den Begriff verwenden zu können, als besäße er eine zwingende, fassbare Bedeutung –, müssen wir erst einmal glauben, dass auch das Wort »afrikanisch« eine zwingende Bedeutung besitzt. Aber welche? Der afrikanische Kontinent besteht aus 55 Staaten, die von den Vereinten Nationen anerkannt werden, und aus 56, wenn wir Somaliland einschließen. Das ist in etwa wie die 50 Staaten Europas, aber ich habe noch nie gehört, dass Schriftsteller aus, sagen wir mal, der Schweiz, aus Serbien, Spanien und Schweden von irgendjemandem als »europäische Schriftsteller« gemeinsam auf ein Podium gesetzt wurden. Man kann sich auch nur mit Mühe vorstellen, dass jemand versuchen würde, Salman Rushdie, Haruki Murakami, Mo Yan und Arundhati Roy unter dem Überbegriff »asiatische Schriftsteller« zu versammeln, als könnte diese Bezeichnung irgendetwas Erhellendes über die Werke der vier aussagen. Warum das nicht geht, liegt auf der Hand: Kontinente sind natürliche Landmassen, die sich aus zahlreichen Ländern zusammensetzen. Wenn schon Staaten suspekte Kategorien für die Einteilung von Kunst sind, dann gilt das erst recht für die Kontinente. Und doch – erst neulich hatte ich eine lustige Auseinandersetzung mit dem dänischen Moderator Martin Krasnik, der ganz ernsthaft die These vertrat, dass ich eine afrikanische Schriftstellerin sei. Ich wollte wissen, warum, und er antwortete, ich hätte einen Roman über eine afrikanische Familie geschrieben und Kweku Sai, der Held meines Romans, sei Afrikaner. Ich fragte ihn, ob wir Anna Karenina als ein Buch über eine europäische Frau bezeichnen würden. Nein, erwiderte er lachend, sie ist Russin. Warum reden wir dann bei Kweku Sai von einem Afrikaner und nicht wenigstens von einem Ghanaer? Das Publikum klatschte, Martin gab mir recht, und das Gespräch ging sehr angenehm weiter, aber ich staunte wieder einmal darüber, dass dieser Begriff dermaßen beliebt ist. »Afrikanisch«. Wir sprechen von russischen Schriftstellern und Figuren, von französischen Schriftstellern, von spanischen Schriftstellern, von italienischen Schriftstellern, von deutschen Schriftstellern – und nicht von europäischen Schriftstellern. Das tun wir, weil wir die Unterschiede zwischen den Ländern ernst nehmen. Wir sprechen von japanischen Schriftstellern, indischen Schriftstellern, persischen Schriftstellern, nicht aber von asiatischen Schriftstellern – und wir tun dies, weil wir die Feinheiten und Nuancen dieser Kulturen ernst nehmen. Die Verwendung des Wortes »afrikanisch« impliziert, dass es sich nicht lohnt, die verschiedenen Nuancen der Länder und Kulturen dieses Kontinents zu beachten. Wir tun so, als gäbe es keine nennenswerten Unterschiede zwischen einem vorrangig katholischen, Portugiesisch sprechenden Land wie Angola einerseits und einem vorrangig muslimischen, Französisch sprechenden Land wie Senegal andererseits.

Warum tun wir das? Von sämtlichen Landmassen der Erde ist Afrika vielleicht diejenige, die kulturell, religiös, ethnisch und linguistisch am vielfältigsten ist. Über 2000 Sprachen werden auf dem Kontinent gesprochen, allein in Nigeria mehr als 400, und Südafrika, der beliebte Ausnahmefall, hat elf offizielle Sprachen. Natürlich neigen wir dazu, die linguistische Komplexität als ein Symptom primitiver Stammesstrukturen abzutun, als würden diese 2000 Sprachen immer nur von höchstens 100 Personen gesprochen. Aber Somalisch, Amharisch, Swahili, Hausa und Yoruba werden beispielsweise von mehreren Zehnmillionen Menschen gesprochen. Von allen Kontinenten taugt der afrikanische am wenigstens dazu, mit derart monochromem Lack überzogen zu werden, wie wir das tun. Trotzdem vergeht keine Woche, ohne dass ich höre, wie jemand den Ausdruck »afrikanischer Roman« verwendet. Und dann frage ich mich: Was ist denn dieses Afrika, von dem die Leute reden? Welche Sprache spricht man in diesem Afrika? Wie ist dort das Wetter? Welches Essen, welche Kleidung, welche Musik, welche Religion, welche Topografie stellen wir uns vor? Sind es die schneebedeckten Berge von Kapstadt, oder ist es das Grasland von Nairobi, ist es die endlose Großstadt Kairo oder das schrille Chaos von Lagos? Oder sehen wir eher eine Szene aus einem Zeichentrickfilm vor uns, aus Disneys König der Löwen, eine gelborangene Landschaft kurz vor Sonnenuntergang, und von irgendwoher ertönen leise Trommelwirbel?

Taiye Selasi
Taiye Selasi

Schriftstellerin

 

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