In 1984 beschreibt Orwell, dass die Verteilung von Macht in allen Gesellschaften stets drei Schichten erzeugt: Die Herrscherschicht (weniger als ein Hundertstel), die Trägerschicht (etwa 10-15 Prozent) und die Schicht der Beherrschten (85-90 Prozent). Mit Gesellschaften sind dabei alle Staaten seit der Urbanisierung der Menschheit mit Einführung der Schrift gemeint, also die historische Existenz [24]. Selbstverständlich wird diese Abschätzung in seinem literarischen Werk nicht empirisch belegt, doch dürfte Orwell quantitativ und qualitativ in etwa richtig liegen. Diese Aufteilung scheint in der Natur des Menschen begründet zu sein; Macht ist einer der wichtigsten Treiber der Vergesellschaftung [31, S. 4]. Die interessante Frage ist daher nicht, wie man die Machtverteilung fundamental verändern kann, sondern wie die Macht ausgeübt wird: Welches Eigentum, welche Autonomie, welche Rechte und welche Partizipationsmöglichkeiten die beiden unteren Schichten in einer Gesellschaft erhalten.
In Memoriam Kurt Scheel
Das Recht auf freie Meinungsäußerung gehört, neben der Demonstrationsfreiheit und der Freiheit, Koalitionen zu bilden, zu den Grundbedingungen eines demokratischen Gemeinwesens. Diese Freiheiten sind nicht umsonst als Grundrechte in der Verfassung verankert, und sie bauen aufeinander auf: Nur wo jeder seine abweichende Meinung ungehindert äußern und sie zusammen mit anderen öffentlich artikulieren kann und darüber hinaus die Möglichkeit besteht, sich als politische Opposition zu organisieren, können wir von demokratischen Verhältnissen sprechen.
Über die Bedrohung der Meinungsfreiheit wird in letzter Zeit viel gestritten und auch lamentiert. Zu Recht und zu Unrecht. Beides soll hier untersucht werden.
Carl Schmitt hat Konjunktur. Wer daran zweifelt, möge nach dem Streit über seine Person sowie seine Verstrickungen mit dem Nazi-Regime die vielfältigen, tiefschürfenden Auseinandersetzungen der letzten Jahre mit seinem Œuvre heranziehen. Daran ändert die Warnung von Habermas wenig, die Beschäftigung mit Carl Schmitt sei eine Einstiegsdroge in den Traum vom starken Staat (»Die Stellung von Carl Schmitt in der deutschen Geistesgeschichte«, erstmals veröffentlicht als Besprechung zu Dirk van Laak: Gespräche in der Sicherheit des Schweigens, in: Die Zeit vom 3.12.1993). Die Wiederentdeckung des Schmittschen Werkes in der späten Bundesrepublik – z.B. durch die Studie von Ruth Groh zum Mythos-Begriff (Groh 1998) – wird entsprechend der Konzentrierung des politischen Denkens auf die Zeit der Nazi-Herrschaft stets von der Frage begleitet, ob angesichts der publizistischen Parteinahme Schmitts in den Jahren 1933 bis 36 eine rückhaltlose Kritik seiner Schriften – sei sie positiv oder negativ – überhaupt politisch zulässig sei.