Rezeption der Entspannungspolitik
Auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Hannover vom 21. bis zum 25. November 1960 bestätigte der Kanzlerkandidat Willy Brandt den außen- und sicherheitspolitischen – und damit auch deutschlandpolitischen – Wandel der Partei. Die Politik der Gemeinsamkeit bewertete er als »nichts Ungewöhnliches«, sondern es sei »das Normale, daß die Parteien auf einer Reihe von Gebieten ähnliche, sogar inhaltsgleiche Forderungen vertreten. Die Frage der Prioritäten, der Rangordnung der zu lösenden Aufgaben, die Methoden und Akzente, das wird immer mehr zum Inhalt der politischen Meinungsbildung«. Unter einer »deutschen Politik neuen Stils« wollte Brandt vor allem den »Sinn für die gemeinsame Verantwortung« verstanden wissen. (Krause et al. 1984)
Insgesamt konnte sich Brandt und mit ihm die SPD in Übereinstimmung mit der amerikanischen Regierung unter ihrem neuen Präsidenten John F. Kennedy sehen. Diese ging davon aus, daß unter den Bedingungen des nuklearen Patts die Rüstung eine Friedensfunktion erhalten habe. Dabei seien die Grundprobleme, vor denen die Welt heute steht, militärisch auf keinen Fall mehr zu lösen.
Mit einer »Strategie des Friedens« leitete John F. Kennedy für die amerikanische Seite die Phase der Entspannungspolitik ein, die zunächst davon geprägt war, daß die Probleme des Ost-West-Konflikts nur in einem langfristigen Prozeß auf friedliche Weise gelöst werden konnten. Für das geteilte Deutschland mußte dies bedeuten, daß die Wiedervereinigung auf einen fernliegenden Termin verschoben war, abhängig von einer in einzelnen Schritten »zur Verringerung der Spannungen« bestimmten Entwicklung. (zitiert nach: Czempiel/Schweitzer, S.264)
Die Rezeption der amerikanischen »Strategie des Friedens« erfolgte bei der SPD vor den anderen bundesdeutschen Parteien. Sozialdemokratische Politiker betonten im Parlament daher immer wieder den aktiven Beitrag, den die Bundesrepublik zu einer Politik der Entspannung zu leisten hätte. So war es beispielsweise Willy Brandt, der im Plenum des Deutschen Bundestages betonte, daß die bisherige Wiedervereinigungspolitik gescheitert sei. Gegen den Willen der Sowjetunion, so fuhr Brandt fort, sei die Wiedervereinigung nicht zu erreichen. Daher müsse sich die Bundesrepublik der Aufgabe stellen, »mit der Großmacht im Osten in ein Verhältnis zu kommen, das uns im vollen Einvernehmen mit unseren Verbündeten der Lösung der deutschen Frage auf dem Boden des Selbstbestimmungsrechtes näher führt und damit die im beiderseitigen Interesse liegende Normalisierung der Beziehungen ermöglicht«. Und weiter: »Die Bundesrepublik ist bereit und muß bereit sein, entsprechende eigene Beiträge zu leisten, die sich aus ihrer eigenen und der Friedensliebe ihrer Bevölkerung ergeben«. Dieses zuletztgenannte Postulat wurde zum Ansatzpunkt der neuen sozialdemokratischen Osteuropa- und Deutschlandpolitik. Angesichts der amerikanischen Entspannungspolitik gab es für die Sozialdemokraten keine grundsätzlich andere Möglichkeit zur Überwindung des Status quo, der im August 1961 in Berlin auf unmenschliche Weise von Ulbricht und Chruschtschow in Beton gegossen wurde, während die Westmächte offensichtlich nichts dagegen unternahmen.