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Wie das Geklirr der Spaten mich ergetzt! – Giacomo Girolamo Casanova, genannt Jacques, Sohn der Zanetta Farussi und des aus Parma gebürtigen Schauspielers Gaetano Guiseppe Casanova oder des venezianischen Edelmanns Michel Grimani, Raupe oder Schmetterling, stirbt am vierten Juni des Jahres 1798 als Bibliothekar des Grafen Waldstein, eines Nachfahren Wallensteins, auf Schloss Dux unweit von Teplitz, nach jahrelanger angestrengter Schriftstellerei – unter den Resultaten ein lateinisches Epitaph auf den Tod seines Foxterriers Melampyge, auch die Mitarbeit am Libretto des Don Giovanni ist verbürgt – infolge einer nicht diagnostizierten Krankheit, nachdem er sich ein Leben lang mit Diagnosen hervorgetan hat: Material für Biographen, die durch seine Memoiren dazu angehalten werden, ein Gleiches zu versuchen – sein oder ihr Leben, wer weiß das schon. Das unerhört Griffige dieser Memoiren beruht nicht zuletzt darauf, dass der größte Teil ihres Materials Anekdoten sind, die durch vielfach wiederholtes Erzählen zugeschliffen und in die prägnanteste Form gebracht wurden, längst bevor ihnen der Autor ihren Ort im imaginierten Lebensgang zuwies. Sie sind das Handgeld des Abenteurers, der für seine Gegenwart mit klingender Münze bezahlt. Manche von ihnen darf der Leser im Entstehen erhaschen, wenn der Held bei Tisch, vor gereiftem Publikum, über den Fortgang seiner aktuellen Amouren berichtet. Doch man täusche sich nicht: Dieser Mann reist mit Papieren, in literarischer Absicht, er treibt seine Studien, er verliert keine Zeit, es ist ihm Ernst. Stücke wie die Flucht aus den Bleikammern sind Vorgriffe in strategischer Absicht, zweifellos wichtig, sie geben Kontur – doch zur geschmeidigsten aller Gattungen wird die Autobiographie im Riesengebilde der Histoire, in Wahrheit einem Kompendium der Gattungen, deren Konventionen der Autor gekonnt umspielt; der erfahrene Erotiker kennt auch hier die Neben- und Hauptzugänge und weiß sich ihrer souverän zu bedienen. Ein Meister der Variation, nicht der Nuance; ein böhmischer Bibliothekar am Ende, sich katzbalgend mit dem Gesinde, die derben Scherze seines einfältigen Herrn fassungslos, doch mit Würde ertragend, Pandekten ordnend, hier und da zwischen den Beständen einen Platz reservierend für Künftiges, die Werke des Chevalier de Seingalt.

 

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