(55) Schweigespirale
Als die Arbeiter der Faust den Saal verließen, schrieen ihnen die Arbeiter der Fresse nach: »Habt ihr’s endlich gerafft?« Als die Arbeiter der Fresse den Saal verlassen mussten, war keiner da, der das Bedürfnis verspürte, hinter ihnen herzuschreien. Das Schweigen wurde so mächtig, dass man ein Fenster öffnen musste, um den entstandenen Druck zu mindern. Erst spät wurden die Auswirkungen der Schweige-Explosion ruchbar: Renditen taumelten dem Abgrund entgegen, andere schraubten sich steil in den Himmel, der grau und schwer über dem Yagir lag, seit der Klimawandel pausierte, Radikale aus Niemandsland beglückten ihre Aufseher mit frommen Kassibern, während sie die Reste all dessen wegsprengten, was ihrem Eroberungsdrang im Wege stand: zwei oder drei alte Kirchen, ein paar Siegessäulen aus Basalt, das Rathaus, die Feuerwache und eine Reihe von Lebkuchenhäuschen, in denen Lebkuchenmännchen und Lebkuchenweibchen den lieben langen Tag darauf gewartet hatten, dass jemand kommt und sie in den Mund steckt – so gefasst, so schicksalsergeben warteten sie, dass sie bis zum Schluss nicht begriffen, was vorging. Und Hand aufs Herz: Was hätte es ihnen genützt? Sie gingen ohne Furcht, ohne Zwang, ihre Lebensweise zu ändern, ohne wirkliche Einsicht, aber mit viel Reue über ihr sündiges Dasein. Darüber sprach der liebe Herr Oberpastor und der ganze Yagir hörte ihm aufmerksam zu, man hätte eine Stecknadel fallen hören und für eine Bombe halten können. Der Herr Oberpastor, geschmeichelt seit altersher und erstaunt über die unerwartete Resonanz, beschloss nachzulegen und endete seine Rede mit den Worten: »Darüber sollten wir nachdenken.« Vielleicht war das ein Fehler, vielleicht nur die notwendige Folge des bereits Gesagten, jedenfalls erstarb im Yagir zur selben Stunde jeglicher Wagemut, jeglicher Besitzanspruch und jeglicher Zorn. Endlose Kolonnen von Yagiriten, barfuß oder mit seltsamen Gehängen bekleidet, wandelten im Staube der Schnellstraßen über Land und versuchten gar nicht erst auszuweichen, wenn eine schnellfahrende Militärpatrouille durch ihre Reihen hindurchfuhr, als seien sie ebenso inexistent wie die Werte, die ihnen die Rede des Oberpastors ins Herz geschrieben hatte. Keine Werte ohne Menschen, keine wirklichen Werte ohne wirkliche Menschen, keine lebendigen Werte ohne Menschen mit Herz, Hirn und Verstand, die sich und das ihre zu bewahren wissen. Das war’s, was der Herr Oberpastor zu erzählen vergessen hatte, er war auch schon alt und man musste ihm erst die Kuchenkrümel aus dem Haar kämmen, wenn das Fernsehen kam.