Wir sind zu viert unterwegs, zwei Frauen, zwei Männer, machen spätabends einen Gang in den südlichen Teil der Altstadt: Bab al-Khalq, Darb al-Ahmar, der Sultan Hassan und der Rifa'i-Moschee unterhalb der Zitadelle zu. Festzelte sind auf den Plätzen und in den Sackgassen zu den Hauseingängen aufgebaut; Sänger und Instrumentenspieler bereiten ihre Auftritte vor. Wir werden von einem Mann angehalten, bei der Hand genommen und resolut zu einem der Festplätze gezogen. Man verjagt Kinder von einigen Stühlen, bringt Tee. Wir erfahren, dass der Maulid, der Geburtstag, des Rifa’i gefeiert wird, von Ahmad bin ’Ali Abu l ’Abbas ar-Rifa’i, der im 12. Jahrhundert in der Gegend von Basra im Südirak die nach ihm benannte Rifa’iya Bruderschaft gegründet hat.
   Die Musik fängt an zu spielen und ein alter Scheich setzt mit seinem Gesang ein. Es ist ein ohrenbetäubender Lärm, alles wird von Lautsprechern verstärkt in die Umgebung geschmettert. Der Alte, ein großer, dicker Mann mit Brille in einer Galabiya, singt fromme Lieder, blinzelt vergnügt in die Runde und bewegt sich gar nicht fromm. Er wackelt mit dem Bauch, läßt ab und zu die Hüften kreisen, so wie eine routinierte Sängerin ihre männlichen Zuhörer animiert.

»… professional singers chant odes of an erotic character …«

Das Publikum geht mit, klatscht in die Hände, reagiert mit Zwischenrufen und Antworten auf den gesungenen Text. Der Mann nebenan brüllt mir die Frage ins Ohr, ob wir aus Israel kämen. Auf mein erstauntes Verneinen und die zurückgebrüllte Antwort hin, dass unsere Gruppe aus zwei Franzosen, einer Deutschen und einem Schweizer bestehe, lacht er: »Es hätte sein können; weil ihr Arabisch versteht. Es gibt viele Besucher aus Israel hier.« Wenige Tage zuvor ist eine israelische Touristengruppe während einer Nachtfahrt im Nildelta von auch später nie identifizierten Extremisten (so werden sie offiziell bezeichnet) überfallen worden. Es gab Tote und Verletzte. Der Vorfall hat großes Aufsehen, weithin Entsetzen erregt – Kopfschütteln und Schnalzen mit der Zunge. Die Bilder der Verletzten und vor allem der ägyptischen Hilfeleistungen wurden tagelang bei jeder Nachrichtensendung im Fernsehen gezeigt. Einige Politiker beeilten sich, Besuche bei den in die Krankenhäuser eingelieferten Israelis abzustatten – nicht ohne Pressebegleitung, versteht sich. Es ist ein höfliches und bei allem Witz den Konventionen lammfromm ergebenes, ein moralisches Volk!

Gennaro Ghirardelli
Gennaro Ghirardelli

Übersetzer und freier Publizist

 

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