Überdehnungen des Westens. Illusionen des Universalismus und Globalismus
Die tiefsten Ursachen des westlichen Universalismus liegen im christlichen Liebesgebot. In einer neuen Entsäkularisierung wird heute das christliche Liebesgebot trotz endlicher Ressourcen auch auf die Politik übertragen. Auch unsere aufklärerischen Werte beanspruchen universelle Gültigkeit.
In jüngster Zeit ist ein postmoderner Kulturrelativismus hinzugetreten, der alle Kulturen für modernisierbar und integrierbar hält. In der Verbindung unserer Schuldkultur, wonach wir für die meisten Übel dieser Welt verantwortlich sind, mit einem kulturmarxistischen Glauben an eine ›Gleichheit in der Vielfalt‹ ist eine neue Weltanschaung entstanden, für die die Selbstbehauptung des Westens kein Thema mehr ist.
Nachdem durch den Zusammenbruch des Sowjetsystems der Weg frei schien, hat sich der Westen in einer Kombination von neoliberaler Globalisierung, neokonservativem Imperialismus und idealistischem Universalismus, dem Glauben an die weltweite Gültigkeit unserer Werte und demokratischen Strukturen, auf den Weg zur Überdehnung gemacht. Damit hat er maßgeblich zur heutigen Weltunordnung beigetragen. (Heinz Theisen, Der Westen und die neue Weltordnung, Stuttgart 2017)
Von Afghanistan, Irak und Libyen, der indirekten Intervention in Syrien via Waffenlieferungen an die Rebellen, bis zu Lockangeboten an die Ukraine hat er andere Kulturen und Hemisphären destabilisiert, sich selbst darüber in unlösbare Konflikte verstrickt, Flüchtlingsströme nach Europa gelenkt, die Sicherheitspartnerschaft mit Russland ruiniert und den Kampf der Islamisten gegen den Westen angefeuert.
Die Überdehnung des Westens zeigt sich militärisch darin, dass er zwar jede Schlacht gewinnt, aber am Ende alle asymmetrischen Kriege verliert. Trotz der astronomischen Militärausgaben der USA, höher als aller anderen Großmächte zusammen, haben diese seit Vietnam mit der Ausnahme der Episode des Ersten Golfkrieges 1991 jeden Konflikt verloren.
Nach dem Scheitern des westlichen Universalismus wechselten die Hoffnungen zu einem Globalismus, der mittels einer multilateralen Abstimmung von möglichst vielen staatlichen Vertragspartnern noch heute das Ziel unserer Bundesregierung ist. Jenseits des freien Welthandels geht es im Globalismus vor allem um Menschenrechte, Klima und Migration. Die Universalität der Menschenrechte setzt die Absolutheit eines Menschenbildes voraus. Die Identitätspolitik zeigt, dass große Teile der Welt mit der Verabsolutierung des westlich-individualistischen Menschenbildes nicht einverstanden sind.
Wie gering die Hoffnungen auf eine ökologische ›Global Governance‹ sind, zeigt sich schon in der Debatte um eine Erhöhung der Flugbenzinsteuer. Würde sie nur in Deutschland oder selbst in ganz Europa gelten, wären hiesige Anbieter gegenüber denen aus China oder den Emiraten benachteiligt und mit deren vermehrten Flügen dem Weltklima auch nicht gedient. Eine weltweite Erhöhung ist angesichts der Wettbewerbshaltung utopisch.
Beim Pariser Klimaschutzabkommen handelt es sich um ein ebenso globales wie unwirksames Abkommen voller rechtlich unverbindlicher Vereinbarungen, die allenfalls von westlichen Staaten ernst genommen werden. Jeder Staat schlägt selbst vor, was er für den Klimaschutz tun will und übernimmt auch die Messung seiner Erfolge selbst. Sanktionen sind nicht möglich. China hat sich laut Vertrag vorgenommen, ab 2030 mit der Reduktion der Schadstoffe zu beginnen und Indien nimmt sich vor, bei der Effizienz Fortschritte zu machen.
Der UN-Migrationspakt übergeht das Bedürfnis nach Schutz und Grenze, nach Identität und Souveränität. Auch diese idealistisch motivierte Globalität bedeutet eine Überforderung der Local Players und stößt an die Grenzen der sozialen und mentalen Aufnahmefähigkeit. Man kann darüber streiten, wo diese Grenzen liegen, aber nicht über ihre Existenz.
Universalismus und Globalismus sind ihrem Wesen nach grenzenlos und behindern eine realistische Selbstbehauptung, die immer auch auf Selbstbegrenzung beruhen müsste. Doch statt einer Neuordnung der Welt nach westlichen Maßstäben kam es zu tektonischen Machtverschiebungen nach Osten.