Europas Identität zwischen Vielfalt und Einheit
Laut Hegel wird die Menschheitsgeschichte immer auch durch das Ringen um Anerkennung vorangetrieben. Aber hierbei spalten sich diejenigen, die Anerkennung durch partielle Varianten wie Nation, Religion, Rasse und Ethnizität, also kollektive Formen der Identität beschwören, und denjenigen, die die Würde jedes individuellen Menschen unabhängig von seiner kollektiven Herkunft in den Mittelpunkt stellen.
Francis Fukuyama unterscheidet zwei Formen von Identität. Die eine Form der Identität führe zur Spaltung, die andere könne zur Einigung genutzt werden. Die erste Art der Identitätspolitik, die heute sowohl von der Linken auch als auch von der Rechten praktiziert werde, sei höchst problematisch, da sie zu festgelegten Merkmalen wie Rasse, Ethnizität und Religion zurückkehre.
Es sei eine Illusion der Global Player, dass der Einzelne ohne Staat und Gesellschaft seine Würde bewahren kann. Eine nationale Identität ermögliche erst liberale Demokratien, da diese auf einem impliziten Vertrag zwischen Bürgern und Regierung sowie zwischen den Bürgern beruhen. Deren gemeinsame Identität gründe auch auf der Gültigkeit dieses Vertrages. Wenn Bürger nicht mehr glauben, Teil eines Gemeinwesens zu sein, funktionieren Verträge nicht. Identität müsse die Mannigfaltigkeit liberaler demokratischer Gesellschaften umfassen. (Francis Fukuyama, Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet, Hamburg 2019, 2. Aufl. S.188) Statt sich auf den Schutz eng gefasster Gruppenidentitäten zu konzentrieren, ist heute der Aufbau einer liberaldemokratischen europäischen Identität gefordert.