Illusionen des neuen Partikularismus
Die größte Bedrohung Europas liegt in der Selbstgefälligkeit derjenigen, die diese Bedrohungen nicht wahrhaben wollen. Für sie scheint die einzige Gefahr in der Angst vor den Folgen ihrer Politik und der daraus erfolgenden Gegnerschaft zur EU zu liegen, im ›Rechtspopulismus und Nationalismus‹. Doch bei diesen Kräften handelt es sich um Symptome und nicht um Ursachen. So gewiss diese Symptome nur eine Problemanzeige und keine Lösung sind, so gewiss ist auch eine Verdrängung der Problemursachen keine Lösung.
Sind die Gelbwesten Links oder Rechts? In jedem Fall handelt es sich um Globalisierungsverlierer. Das Prekariat sieht sich durch die Zuwanderung in der Konkurrenz um soziale Hilfe bedrängt. Im global entgrenzten Wettbewerb gerät zunehmend auch der Mittelstand unter Konkurrenzdruck. Beider Wut richtet sich nicht mehr gegen ›das Kapital‹ an sich, sondern gegen die aus neoliberalen oder humanitären Motiven betriebenen Entgrenzungen des Kapitals.
Das Umschlagen von Weltoffenheit in Nationalismus oder sogar Separatismus ist dialektisch gesehen eine Selbstverständlichkeit, aber bloße Antithesen bleiben umgekehrt den alten Themen und Illusionen verhaftet. Das utopische Win-win könnte darüber im tendenziell kriegstreiberischen Nullsummenspiel enden.
Die so genannten Populisten haben darin Recht, dass der Nationalstaat nicht zugunsten globaler Visionen aufgehoben werden darf. Staaten verlieren durch ein falsches Vertrauen auf globale Absprachen auch die Reste an Selbstbehauptungsfähigkeit. Sie haben Unrecht, wenn der schützende und umgrenzte Nationalstaat in das Extrem eines ausgrenzenden Nationalismus oder gar völkisches Denkens umschlägt.
Das Volk ist eine reine Konstruktion, welches in Wirklichkeit in vielfältige Gruppen zerfällt und vom Rechtsstaat eingehegt werden muss. Nicht das Volk, sondern verantwortungsbewusste Bürger werden jenseits aller ideologischer Zuordnungen Antworten auf die neuen Realitäten finden müssen, etwa die eines subsidiär gegliederten Systems von National-, Inter- und Supranationalstaatlichkeit im europäischen Mehrebenensystem.